Gedanken zu Ostern: Der Umgang mit den Fremden

18. Apr. 2019

Der Benediktinermönch und bekannteste spirituelle Autor Deutschlands, Pater Dr. Anselm Grün, hat ein Buch mit dem Titel „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen: Vom Umgang mit der Angst vor dem Anderen“ geschrieben. In seinem Kloster wurden Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Iran und Afghanistan aufgenommen. Die meisten Flüchtlinge sind Muslime. „Wir haben bei der Aufnahme der Fremden im Kloster die beiden Aspekte erfahren, die für jede Gastfreundschaft im christlichen Sinn charakteristisch ist: Wir haben die Flüchtlinge aus christlicher Nächstenliebe heraus aufgenommen. Aber wir haben auch gespürt, dass die Fremden uns beschenken, unser Leben reicher machen, uns teilhaben lassen an ihren Erfahrungen.“

Anselm Grün klammert negative Ereignisse in seinen Betrachtungen nicht aus. Er berichtet von einem minderjährigen Flüchtling, der in der unmittelbaren Umgebung des Klosters „in einer Pflegefamilie freundlich aufgenommen wurde. Doch durch IS-Propaganda radikalisiert schlug er im Zug mit einer Axt und einem Messer auf eine asiatische Familie ein und verletzte sie schwer.“ Der Benediktinerpater berichtet von zahllosen Irritationen und Ängsten bei engagierten Menschen: „Eine Ärztin erzählte mir, dass sie irritiert ist, wenn sie im Krankenhaus Männer aus arabischen Staaten behandelt. Sie weigern sich oft, einer Frau die Hand zu geben oder sich von ihr behandeln zu lassen. Ähnlich ergeht es Polizistinnen, die von ausländischen Männern angepöbelt und beschimpft werden. Sie wollen sich von Polizistinnen nicht helfen und erst recht nicht zurechtweisen lassen.“

Es steht wohl für Vertreter der politischen Mitte, zu denen ich mich zähle, außer Zweifel, gegen solche Straftaten und Verhalten klar Position zu beziehen. Wer das Gastrecht missbraucht, hat mit klaren Konsequenzen zu rechnen. Ebenso ist für mich unbestritten, ohne jetzt im Detail darauf einzugehen, dass ungeregelte und/oder massenhafte Einwanderung zum Kollaps führt. Allerdings ist es notwendig, wie Anselm Grün sagt, „nicht in Hasspropaganda zu verfallen, Ängste aufzubauschen oder zu schüren.“ Dass rechte Gruppierungen gegen Muslime aggressiv auftreten und versuchen das „christliche Abendland“ zu retten, quittiert Grün pointiert mit einem Verweis auf den tschechischen Religionsphilosophen Tomas Halik, der bei einer Diskussion meinte, „dass es paradox sei, wenn Politiker aus der rechten Szene, die nicht einmal das Vaterunser beten können, zu Rettern des christlichen Abendlandes werden wollen.“

Anselm Grün beschreibt die Anhänger von rechtsradikalen Gruppierungen als Menschen, die „sich orientierungslos und oft auch schwach oder machtlos fühlen. Die radikale Gruppe verleiht ihnen Stärke. Aber das ist eine künstliche Stärke und eine Stärke auf Kosten anderer. Sie machen die anderen klein, um an ihre eigene Stärke glauben zu können.“ Wer jetzt triumphierend meint, dass es sich nun mal um arme Würstchen handelt (was viele auf den ersten Blick nicht sind), der begeht einen schweren Fehler. „Anstatt sie zu verurteilen, und sie dadurch noch weiter in die Fänge der Radikalen zu treiben, braucht es Wege, um ihnen den Rücken zu stärken, damit sie ihre eigene Identität finden. Wenn sie ihre eigene Identität gefunden haben, haben sie es nicht mehr nötig, ihre Identität auf Kosten anderer zu leben.“ Wie diese Wege in der Politik aussehen könnten, das lässt Grün offen.

Die europäischen stark rechtsgerichteten Parteien, die mehr oder weniger selbst rechtsradikal sind, werden jedenfalls - diese wenig überraschende Prognose sei mir gestattet - weiterhin entsprechende die Gesellschaft verbindende Bemühungen skrupellos sabotieren, denn die Angst vor dem/den Fremden ist ja quasi das Geschäftsmodell. Ich vermute, dass sehr viele Funktionäre dieser Parteien selbst in ihrem tiefsten Kern ein verletztes, sehr schwaches, Selbstwertgefühl haben. Solchermaßen konfrontiert, verfallen diese Herrschaften – insbesondere Männer - jedoch in Wutausbrüche und Rundumschlägen. Sehen sie sich doch selbst als besonders starke Burschen, selbstverständlich berechtigt, andere abzuwerten, zum Beispiel als naive Gutmenschen. „Die Diffamierung als Gutmensch zeigt, dass selbst der Wert der christlichen Nächstenliebe heute verunglimpft wird.“, meint dazu Anselm Grün.

Der Zusammenhang zwischen geringem Selbstwertgefühl und Angst (in ihren unzähligen Erscheinungsformen) ist seit langem bekannt und unbestritten. Anselm Grün hält bezüglich Fremdenangst fest: „Als unheimlich erleben wir das Fremde immer dann, wenn unser Selbstwertgefühl gering ist. Wenn wir das Fremde als unheimlich erleben, erschrecken wir davor. Und wir sind in der Gefahr, es abzulehnen und zu verdrängen. Doch wer ein gesundes Selbstwertgefühl hat, dem gelingt es, das Fremde zu integrieren, ohne das Gefühl der Kontinuität zu verlieren, der ist fähig, das Ungewohnte mit seiner gewohnten Identität zu verbinden.“ Nicht aufgearbeitete Minderwertigkeitsgefühle und die darauf zurückzuführenden Handlungen können jedoch nicht nur Einzelpersonen in große Schwierigkeiten bringen, sondern auch Gesellschaften in die Katastrophe führen, ja sogar Weltkriege verursachen: „Die Mentalität, sich als Herrenmenschen zu fühlen, war aus einem Gefühl entstanden, weil die Deutschen die Niederlage des Ersten Weltkrieges nicht aufgearbeitet hatten. Die Reaktion aus dem Unterbewussten heraus war, sich über andere zu stellen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten könnte man so als einen Aufstand der sich minderwertig Fühlenden betrachten. Die zuvor die Verlierer waren, die nichts galten, haben sich als mächtig aufgespielt.“, spitzt Anselm Grün zu.

Wenn Sie zahlreiche weitere interessante psychologische und christliche Inputs zu dem Thema lesen möchten, zahlt sich der Kauf des Buches von Anselm Grün sicherlich aus: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen: Vom Umgang mit der Angst vor dem Anderen“ (Vier Türme Verlag, ISBN 978-3-7365-0070-9, 1. Auflage 2017)

Persönliche Anmerkung: Anfang November 2018 war ich einige Tage Gast in der Abtei Münsterschwarzach und hatte dadurch zufällig die Gelegenheit, an einer außergewöhnlichen Zeremonie teilzunehmen. Am Abend von Allerheiligen standen die Mönche gemeinsam mit den muslimischen Flüchtlingen am Friedhof des Klosters. Ja, Sie haben richtig gelesen, Muslime auf einem christlichen Friedhof im streng katholischen Bayern. Während die Mönche für ihre verstorbenen Mitbrüder beteten, hörten die Muslime zu. Als die Muslime ihr Totengebet in arabischer Sprache für ihre verstorbene Angehörige hielten, hörten die Mönche zu. Das Gebet für die Toten verband in einer sehr berührenden Weise. Herkunft, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit hatten keine Bedeutung. Die Tränen von trauernden Europäern und Asiaten unterscheiden sich nicht.