Nicht mein Kanzler
Einige Tage nach der Gemeinderatswahl vom 26. Jänner bin ich noch immer dankbar, dass der Geist des Ermöglichens ein historisches Ergebnis geschaffen hat. Wir haben gesehen, was möglich ist, wenn man positiv handelt: Beim Zusammenführen von Menschen, beim Zusammenführen von Parteien und beim Ermöglichen von Projekten. Tulln hat gezeigt, welche Möglichkeiten daraus entstehen können.
Diese positive Haltung hat ihrerseits den Halt in der Überzeugung, dass jeder Mensch bedeutsam ist, unabhängig von Besitz, Rang und Namen. Wir brauchen einander alle, vom Manager bis zur Reinigungskraft im Büro, vom Bankdirektor bis zum Pfleger im Seniorenheim, vom Chefarzt bis zum Portier. Die Verantwortungen sind unterschiedlich, Anerkennung verdient jedoch jede und jeder.
Diese mir so wichtige positive Haltung birgt daher zwei wichtige Bekenntnisse: Erstens, die Würde aller Menschen ist gleich und zweitens, das Bekenntnis nach Gerechtigkeit. Wer Gerechtigkeit sät, wird Frieden ernten, steht in der Bibel. Freilich, eine materielle Gerechtigkeit, im Sinne einer gleichen Verteilung des Einkommens, ist eine Illusion. Zu unterschiedlich sind individuelle Interessen, Fähigkeiten und Einsatz. Zu unterschiedlich, bisweilen ungerecht, ist das Glück hinsichtlich Chancen, Umfeld und Herkunft verteilt. Umso wichtiger ist das Bekenntnis zum sozialen Ausgleich, damit jeder Mensch eine gesicherte Existenz hat.
Bruno Kreiskys Leitlinie „Leistung. Aufstieg. Sicherheit“ halte ich bis heute für richtig: Jeder der bereit ist, sich anzustrengen, soll vom Staat die Möglichkeit zum sozialen Aufstieg erhalten. Was im Einklang mit meiner christlich-soziale Haltung steht: Wer mehr leistet (weil er die Möglichkeit dazu erhielt), soll mehr haben. Wer mehr hat, soll jenen einen Teil geben, die zu wenig haben. Dieses Agieren verdient soziale Anerkennung.
Der alleinige Fokus auf materielle Dinge greift jedoch im Personellen und im Politischen viel zu kurz. Gerecht zu sein, bedeutet unserem menschlichen Wesen gerecht zu werden; dazu zählt das Bedürfnis nach sozialer Verbundenheit. Die Politik steht im Auftrag, für Arbeitsplätze, Infrastruktur, Sicherheit und für vieles mehr zu sorgen, aber genauso hat sie die Aufgabe, die Menschen, mögen sie noch so unterschiedlich sein, zusammenzuführen und das Miteinander zu fördern. Deshalb freut es mich, dass sich das Tullner Projekt „Stadt des Miteinanders“, das ich vor sieben Jahren initiierte, sehr erfolgreich entwickelt. Es zeigt einmal mehr, wie mit positiven Haltungen Gutes gelingt.
Gleichzeitig erleben wir, wie eine negative Kraft um sich greift. Die Kraft des Dagegenseins, die Kraft des Polarisierens, die Kraft des Ausgrenzens. Wir sehen mit Herrn Kickl an der Spitze der FPÖ jemand, der diese Antikräfte kultiviert hat. Viel Problematisches ist über ihn bereits hinlänglich bekannt, dennoch möchte ich jene Punkte kurz betrachten, die für mich ganz persönlich nicht zu akzeptieren sind.
Herr Kickl ist gegen freie etablierte Medien („Systemmedien“), die kritisch nach journalistischen Qualitätsansprüchen über ihn berichten. Stattdessen setzt er auf FPÖ-TV oder auf rechtsextreme Verschwörungssender wie AUF1. Das wichtigste Medium des Landes, der ORF, soll aus dem von der Politik gestalteten Budget finanziert und damit vom Willen der Regierung abhängig gemacht werden.
Herr Kickl ist gegen ein starkes Europa und will die Europäische Union, dieses wunderbare Friedensprojekt sowie die Grundlage des stark gestiegenen Wohlstandes in Österreich, schwächen. Gerade in Zeiten der zunehmenden Konkurrenz zu den USA und Asien ist dies ein schwerer Fehler. Kickl kritisiert die EU-Sanktionen gegen Russland, stellt die "Partnerschaft für den Frieden" mit der NATO in Frage und lehnt eine gemeinsame EU-Sicherheitspolitik ab.
Herr Kickl ist gegen die klare Abgrenzung der FPÖ gegenüber Rechtsradikalen. Herr Kickl bezeichnet die vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestufte Identitäre Bewegung verharmlosend als "NGO von rechts" und ein "interessantes und unterstützenswertes Projekt". Herr Kickl verwendet in seiner Rhetorik immer wieder Begriffe aus dem NS-Jargon wie "Volksverrat" und "Systemparteien“. 2016 trat Kickl als Gastredner beim rechtsextremen Kongress "Verteidiger Europas" auf.
An dieser Stelle fallen mir meine Gespräche mit dem im Jahr 2022 verstorbenen höchst angesehenen Stadthistoriker, HR Dr. Roderich Geyer, ein. Er hat bis zu seinem Lebensende immer wieder gesagt, dass der subjektive Frust der Verlierer und Benachteiligten der Gegenwart, das Gespenst des Führerstaates jederzeit wieder hervorbringen kann. Er hat von einem braunen Gemisch gesprochen, das auch heute existiert, und sagte wortwörtlich „Es gibt Demokratieverfechter und Demokratieverächter. Wir müssen die Demokratieverächter bremsen.“
Der Appell von Dr. Geyer, der auch meiner ist, lautet: Nehmen wir uns in Acht vor jenen, die den Staat unterminieren möchten und deren Weg es ist, das demokratische Regelwerk für ihre Sache auszunutzen. Wir erkennen sie daran, dass sie die Schwächen der Demokratie mit diabolischer Konsequenz ausnützen, in dem sie das politische System lächerlich machen und Misstrauen gegen die notwendigen Eliten schüren. Sie haben kein Wesen außer das Dagegensein und bieten keinerlei Antworten auf die drängenden Fragen der Gegenwart.
Doch nun weiter zu meiner Aufzählung. Herr Kickl ist gegen die notwendigen weitgehenden Klimaschutzmaßnahmen, er verharmlost den menschengemachten Klimawandel und spricht oft vom "sogenannten Klimawandel". Er meinte erst im April 2024 in einem Interview mit HEUTE, dass es schon immer einen Klimawandel und Eiszeiten gab, selbst vor der Industriellen Revolution. Daher könne der Klimawandel nicht hauptsächlich von dem CO2, das durch menschliches Handeln emittiert wird, abhängen, weil es damals noch gar keinen menschengemachten CO2-Ausstoß gab. Diese Argumentation Kickls lässt sich auf die Klimaentwicklungen der letzten Jahrzehnte in keiner Weise umlegen und ist daher blanker Unsinn, was wissenschaftlich abgesichert ist. Herr Kickl behindert dadurch wichtige klimapolitische Entscheidungen und handelt für mich damit so, wie zu viele andere auf dieser Welt, nämlich gemeingefährlich. Denn der zu hohe Anstieg der globalen Temperatur wird zu furchtbaren Verwerfungen aller Art führen. Unsere Kinder und Enkelkinder werden dafür den Preis bezahlen.
Herr Kickl ist gegen die Verhältnismäßigkeit im politischen Wettbewerb. Ganz im Gegenteil: Er besitzt eine erschreckende Skrupellosigkeit, die besonders während der Corona-Pandemie sichtbar wurde. Um politisch zu punkten, torpedierte er Maßnahmen, die Menschenleben schützten.
Herr Kickl ist gegen die Mäßigung der Sprache. Der Höhepunkt der Geschmacklosigkeit war, als er Bundespräsident Alexander Van der Bellen als "diese Mumie in der Hofburg" bezeichnete und hinzufügte: "Dass er ein bisserl senil ist, haben wir vorher schon gewusst." Nicht zuletzt will ich daran erinnern, dass Herr Kickl als Innenminister vorschlug, Asylbewerber "konzentriert an einem Ort" zu halten – eine wohl bewusst menschenverachtende Wortwahl.
Die Liste der Dinge gegen die Herr Kickl ist oder war, ließe sich noch fortsetzen, etwa gegen Bestandteile des österreichischen Rechtsstaates (siehe dazu auch das aktuelle PROFIL) oder gegen den österreichischen Verfassungsschutz (BVT), in dessen Büros unter ihm als Innenminister einer Razzia durchgeführt wurde, die später vom Oberlandesgericht Wien als unverhältnismäßig und ungerechtfertigt eingestuft wurde. Viele fragen sich noch immer: Wonach wurde damals eigentlich gesucht? Über Informationen des BVT über die Verbindungen der FPÖ zu Rechtsextremen oder gar Neonazis?
Ich fasse daher zusammen: Ich bin jemand, der im Für denkt, der im Ermöglichen denkt, der im Miteinander und gemeinsamen Erreichen denkt.
Herr Kickls Denkweise steht für gegen, gegeneinander und nein. Und dieses Denken betrifft staatsrelevante Säulen wie Demokratie, Rechtsstaat, Medien und Europa.
Dieser Mann vertritt Werte, die entgegengesetzt zu meinen sind. Daher ist meine Haltung klar: Er ist nicht mein Kanzler. Er wird es auch nicht werden. Niemals.