Mein Tulln. Mein Glaube. Gedanken über den Tag hinaus.

09. Okt. 2024

Mag. Krzysztof Kowalski, Pfarrer von St. Stepfan, überlässt, während jeder ersten Sonntags-Messe im Monat, den Ambo Gläubigen, die nicht im Dienst der Kirche stehen. Am vergangenen Sonntag war ich eingeladen, über meine Haltung zum Glauben zu sprechen. Es war mir eine Ehre sowie eine Freude. Ich fand es sehr spannend, denn alltäglich ist so eine Gelegenheit nicht. Vielleicht ist ja auch für Sie der eine oder andere interessante Gedanke dabei.

Hier finden Sie nun die Textversion, nach dem Text einen Audiomitschnitt.

„Nun sag, wie hältst Du es mit der Religion?“, fragt Margarethe den Faust. Vor dieser Gretchenfrage gibt es kein Entkommen, will jemand auf Folgendes eine Antwort: Weshalb existiere ich überhaupt und wozu?

Ich werden daher heute auf folgende Punkte eingehen, soweit das in der kurzen Zeit möglich ist:

  1. Weshalb ich mich vor dem Tod nicht fürchte, aber vor dem Sterben schon eher.
  2. Was meine ich, wenn ich sage: Ich glaube an Gott.
  3. Warum man keineswegs verrückt ist, wenn man an etwas Unsichtbares glaubt. Oder: Weshalb ein rationaler Glaube möglich ist.
  4. Weshalb ich die Bibel schätzen gelernt habe.

Ich komme zum ersten Punkt, und damit zu jenem Ereignis, dem keiner entkommt – dem Tod. Vor ihm beginnt bereits in frühen Lebensjahren eine Angst. Für ein Kind ist es etwas Schreckliches und Bedrohliches, wenn beispielsweise eine Bezugsperson verstirbt. Aber auch Kinder, denen so ein Schicksalsschlag erspart bleibt, haben früh Fragen zum Tod, die nicht immer ideal beantwortet werden. Wer einem Kind beispielsweise verlegen sagt, dass der Tote bloß schläft, weckt erst recht das Misstrauen des Kindes und regt dessen Phantasie an, was an dem Tod so schlimm sein könnte.

Und als Draufgabe hat die Kirche, zumindest bis zu meiner Generation, mehr ein strafendes als ein barmherziges Gottesbild gepredigt. Uns wurde erzählt, dass schlimme Menschen in der Hölle brennen werden. Das war theologisch völlig unzulässig und ist heute erfreulicherweise verpönt.

Was ist nun am Tod so schlimm? Könnten wir ihn nicht sehr gelassen sehen? Er verwandelt uns. Unsere Spuren, die wir hier hinterlassen haben, die bleiben. Wir kommen dort hin, wo wir schon einmal waren. In diesem diesem Zusammenhang zitiere ich gerne den Schweizer Psychiater und Forscher Bertrand Piccard: „Wer denkt, dass er aus dem nirgendwo kommt und ins nirgendwo geht und das Ziel des Lebens darin besteht, reich und glücklich zu sein, den bringt die kleinste Krise um. Wenn man allerdings versteht, dass man von irgendwo herkommt, ohne zu wissen woher, und irgendwo geht, ohne zu wissen wohin, und dass der Sinn des Lebens darin besteht, sich weiterzuentwickeln, und sich über mehr Weisheit, Güte, Mitgefühl und positives Lebensenergie einzubringen, dann eröffnet sich ein Sinn hinter allen religiösen Strömungen und Philosophien.“

Es gibt also pragmatische Gründe, keine Angst vor dem Tod zu haben, anders sieht das beim Sterben aus. Denn Sterben kann körperliche Schmerzen und völlige Hilfslosigkeit bedeuten. Auf jeden Fall bedeutet sterben, das Verlassen und die Trennung von den Menschen, die man liebt. Dieses Loslassen ist sowohl für den Sterbenden als auch für die Hinterbliebenen das Schlimmste und das Schmerzlichste.

Nun wieder zurück zum Tod: Die Bibel lehrt uns, dass er nicht die oberste Gottheit der Menschen ist. Das ständige angstvolles Schielen auf den Tod lähmt. Sinnvoller ist hingegen, eine konstruktive Auseinandersetzung mit ihm. Auch Psychologen berichten, dass Menschen, die sich mit dem Tod beschäftigen oder ihm gar nahe waren, eine höhere Lebensqualität und Lebensfreude haben. Denn der Tod lädt unter anderem ein, die Zeit mit Menschen, die ich liebe oder mag, bewusst zu nutzen.

Damit komme ich zum zweiten Punkt: Ja, ich glaube an Gott. Aber was meine ich mit Gott? Daher nun etwas präziser formuliert: Ich glaube an das Geheimnis, das uns unbestritten umgibt und dieses Geheimnis nenne ich Gott. Mich berührt diese Formulierung jedes Mal, wenn ich sie ausspreche. Sie ist der Türöffner für meine Spiritualität und letztendlich für meinen Glauben an Gott.

Für mich ist dabei ganz zentral, dass ich mir kein Bild von Gott oder von dem, was nach dem Tod folgen könnte, mache. Nur dadurch halte ich mir dieses Geheimnis offen, denn solche Bilder würden sofort den Gedanken provozieren, dass sie völlig falsch sein könnte.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die Bilder hier in dieser Kirche sehr schön, sie berühren mich, aber ich weiß, dass wir Menschen nicht in der Lage sind, sich ein Bild von etwas zu machen, das jenseits aller Vorstellung liegt. In der Bibel steht in diesem Zusammenhang völlig nachvollziehbar: Du sollst Dir von Gott kein Bild machen. Ich ergänze da für mich persönlich: Und außerdem kannst Du es gar nicht.

Dritter Punkt: Wie Sie bereits gemerkt haben, ist mein Glaube, einer, der nach Einsicht sucht. Ein Glaube frei von jeder Vernunft führt zu Fundamentalismus, den es heute nach wie vor gibt, und zwar nicht nur in Teilen der islamischen Welt. Denken Sie zum Beispiel an die Evangelikalen in den USA, die einen maßgeblichen Anteil am Wahlsieg von Herrn Trump im Jahr 2016 hatten.

Die Frage, ob man vernünftig glauben kann, bejahe ich ganz und gar. Die Existenz Gottes ist zwar nicht beweisbar, aber genauso ist bis jetzt niemandem gelungen, seine Existenz zu widerlegen. Daher ist das Glauben genauso wie das Nichtglauben rational und keinesfalls etwas Verrücktes. Ganz im Gegenteil: Das uns umgebende Geheimnis, von dem ich so gern spreche, wird ja sogar in der Sprache der Natur, also in der so logischen Mathematik, benannt - nämlich mit dem Begriff „unendlich“.

Ich habe daher die berechtigte Hoffnung, dass, wie es der deutsche Philosoph Holm Tetens sagt, „unsere Erfahrungswelt, und die besondere Stellung des Menschen in ihr, am Ende Teil einer insgesamt vernünftig eingerichteten Wirklichkeit ist“. Daraus folgt für mich, dass jede und jeder von uns eine Mission in dieser Welt hat. So wie es einst der deutsche Psychotherapeut Graf von Dürckheim zum Ausdruck brachte: „Es steht der Mensch in einem doppelten Auftrag: die Welt zu gestalten im Werk und zu reifen auf dem inneren Weg.“ Für mich ist unser Auftraggeber eben das Geheimnis, das uns umgibt.

Gäbe es keinen höheren Auftrag, dann wäre alles, was wir tun und unsere ganze Existenz, im Grunde alles in dieser Welt, absurd. Und das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.

Nochmals kurz zu Holm Tetens. Von ihm stammt auch ein interessanter Ansatz, um die Theodizee-Frage zu entkräften. Also die Frage, warum ein gütiger Gott so viel Leid in dieser Welt zulässt. Tetens stellt nämlich eine Gegenfrage: Kann es gute Gründe für Gott geben, Leid zuzulassen, obwohl er es nicht will und verhindern könnte? Das ist spannende Frage, die sich nicht so leicht wegwischen lässt.

Nun komme ich zum vierten und letzten Punkt: Im Laufe meines Lebens wurde ich immer mehr auf Texte der Bibel aufmerksam, die mein Vertrauen in diese außergewöhnliche Schrift sehr stark gesteigert haben. Vor allem hat es mich immer wieder verblüfft, wie viel modernes psychologisches Wissen und Weisheit in diesem sehr alten Buch verborgen sind. Meine Einsichten habe ich gewonnen, weil ich gute Lehrer gesucht habe. Wie zum Beispiel meinen Freund Dr. Kurt Appel, er ist Tullner und Universitätsprofessor für Fundamentaltheologie in Wien, sowie den Benediktinerpater Dr. Anselm Grün. Ohne Unterstützung hätte ich nicht erkannt, wie wichtig die Übersetzung der Bilder der Bibel ist.

Diese Übersetzung braucht es fast immer. Es gibt Bibelstellen, bei denen das sofort erkennbar ist, wie etwa im Schöpfungsbericht, in dem steht, dass die Welt in sieben Tagen erschaffen wurde. Das ist selbstverständlich keine naturwissenschaftliche Aussage. Vielmehr ist es ein hochpoetischer Text, in dem es um die Zurückdrängung des Chaos und der Schaffung einer menschenwürdigen Welt geht.

Andere Bibelstellen zeigen leider nicht so offensichtlich, dass auch sie übersetzt werden müssen. Ich gebe Ihnen dazu mein Lieblingsbeispiel: Sie kennen alle die Stelle in der Bergpredigt aus dem Matthäusevangelium: „Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.“ Das bedeutet nicht, wonach es klingt und leider viele glauben. Dazu muss man wissen, dass der Schlag auf die rechte Backe im Judentum symbolisch bedeutet, dass jemand versucht, dem anderen die Würde zu rauben. Kurzum: Dies Bibelstelle bedeutet also, dass Dir niemand Deine Würde rauben kann, deshalb kannst du ihm ruhig auch die andere Backe hinhalten. Das ist doch eine tolle Aussage! Und noch etwas Wichtiges steckt in dieser Bibelstelle: Wenn jemand auch die linke Backe hinhält, zwingt er den Angreifer ihn anzusehen. Die Ethik dahinter: Konfrontiere den Täter mit seiner Verantwortung. Das bringt mehr, als sich auf seine Ebene zu begeben.

Wir lernen daraus, dass der jüdische Theologe Pinchas Lapide recht hat, wenn er sagt: „Man kann die Bibel eben wörtlich nehmen oder ernst! Beides zusammen verträgt sich sehr schlecht."

Die Bibel lädt uns wie die moderne Psychologie ein, über unser Handeln nachzudenken, damit wir uns selbst kennenlernen. Wir erfahren dadurch unseren eigenen Wert, die eigene Würde und unsere Einmaligkeit. Das daraus entstehende Selbstwertgefühl macht uns zu souveränen Menschen, frei von den Erwartungen anderer und auch frei von Neid.

Die Bibel ist die Grundlage der christlichen Ethik. Sie vermittelt uns die so wichtigen Bilder von Liebe, Freundschaft und Empathie. Der empathische Gott ist der Zellkern des Christentums. Die in der Bibel sehr selten erwähnte Hölle, ist bloß ein Zeichen, dass Gott Gerechtigkeit sucht, wie er diese ausübt, das lässt die Bibel offen. Oder anders ausgedrückt: Weil Gott gerecht ist, gibt es die Hölle. Weil Gott barmherzig ist, können wir berechtigt hoffen, dass sie leer ist.

Glauben heißt hoffen. Glauben heißt auch handeln im Sinne der christlichen Ethik, zum Beispiel dass ich mit Ihnen gemeinsam handle, für das gelingende Miteinander in Tulln.

Und schließlich: Der Glaube ist kein fester Besitz, sondern er sinkt und steigt wie der Wasserstand der Donau.

 

>> Mitschnitt der Rede zum Anhören